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Helga König im Gespräch mit Angélique Duvier über Ihr Buch "Dasein"

Liebe Angelique Duvier, dieser Tage habe ich Ihr neues Buch "Dasein" auf "Buch, Kultur und Lifestyle" rezensiert und möchte dazu einige Fragen an Sie richten.

Anbei der Link zur Rezension: Dasein

Helga König:  In Zeiten wie diesen, wo immerfort nur noch von Krieg, Krankheit und Klimawandel die Rede ist, fällt es gewiss nicht leicht, Gedichte zu schreiben. Was macht diese 3-K-Dunstglocke, die uns alle belastet, mit Ihnen, so etwa, wenn Sie eigentlich ein stimmungsvolles Liebesgedicht im Sinn haben und stattdessen spontan ein paar nachdenkliche Zeilen über "Flüchtlinge" schreiben? 

Angélique Duvier
Foto: aus privatem Bestand
Angélique Duvier:
Die heutige Zeit ist leider extrem belastet. Ich glaube, die Klimakrise erhöht nicht nur das Risiko für bewaffnete Gewalt, sondern hat auch Einfluss darauf, wie diese Auseinandersetzungen ausgetragen werden. Berechnungen zeigen, dass die Gefahr sogar noch steigt. Kriege sind sehr komplex und entstehen durch unterschiedliche politische, wirtschaftliche und soziale Faktoren, und natürlich haben politische Instabilität und soziale Ungleichheit ebenfalls Einfluss auf das Risiko von Konflikten. 

Ich habe gelesen, dass in der Ukraine zurzeit so viele Ehen geschlossen werden wie nie zuvor, während die Zahl der Scheidungen zurückgegangen ist. Ich denke, während eines Krieges, wo ständig die Gefahr besteht, sein Leben zu verlieren, zeigen Menschen ihre Seele, bis in die intimsten Winkel. Frauen und Kinder müssen ihre Männer und Väter an der Front zurücklassen, oft werden sie sich dadurch immer fremder, sie können kaum miteinander telefonieren und ständig ist da diese Angst, den geliebten Partner, Sohn oder Vater zu verlieren. 

Auch die Folgen von Corona sind in vielen Lebensbereichen nach wie vor stark zu spüren. Belastende Ereignisse beeinflussen Menschen stark. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen weniger hilfsbereit sind, leider auch weniger Offenheit und Empathie besitzen. Viele erscheinen mir misstrauischer, das mag daran liegen, dass das Sozialleben lange eingeschränkt war. Ich selbst war schwer an Corona erkrankt und hatte es nur knapp überlebt. 

Während dieser Zeit gingen mir viele Gedanken durch den Kopf, ich speicherte einige davon in meinem Gehirn ab, und irgendwann begann ich langsam wieder zu schreiben, ließ meine Gefühle heraus. Während dieser Zeit, als es mir sehr schlecht ging, gab es bloß sehr wenige Menschen, die für mich da gewesen sind, besonders mein lieber Mann, eine Freundin, die täglich im Krankenhaus anrief, um sich zu erkundigen, meine Schwiegermutter, der es selbst nicht gut ging. Dann gab es andere, die lediglich darauf warteten, dass ich wieder funktionieren würde und mir später sogar Vorwürfe machten, dass ich mich so lange nicht gekümmert hätte. Während dieser Zeit habe ich viel beobachtet und reflektiert, dadurch entstand später eine Vielzahl meiner Gedichte, die in dem Buch »DASEIN« zu finden sind. 

Helga König
Helga König:
Im Gedicht "Fragen" geht es um den Zweifel. Wann beginnt der Zweifel in Liebesbeziehungen und wie äußert sich das im lyrischen Ich? 

Angélique Duvier: Mein Gedicht »Fragen« bezog sich auf die Person, die sich während meiner schweren Coronaerkrankung nicht meldete, nur darauf wartete, wann ich wieder für sie da sein würde. Die mich einzig mag, wenn ich funktioniere.

Helga König: Was hat Sie zu der Kurzgeschichte "Herzklopfen" bewegt? 

Angélique Duvier: Ich musste daran denken, als mein Mann und ich uns zum ersten Mal begegneten. (Es war im Studio meines Mannes.) Ich war dort für Hörbuchaufnahmen engagiert, mein Mann erstellte die Musik dazu. Ich lief draußen herum und suchte nach der Hausnummer, mein Mann stand auf dem Balkon und sah mich. Er dachte: Die müsste jetzt bei mir klingeln. Kurz darauf klingelte ich tatsächlich bei ihm. Wir beobachteten einander, ähnlich wie meine beiden Protagonisten in der Kurzgeschichte. Es waren mehrere Personen in dem Studio, aber irgendwie war allein er für mich vorhanden, ebenso erging es meinem Mann. Als ich gehen wollte, hielt er mich auf und fragte nach meiner Telefonnummer, falls es wegen der Aufnahmen noch Änderungen geben sollte. Er schenkte mir außerdem eine seiner CDs, die ich mir gleich in der Nacht anhörte. Es brauchte zwei Monate, bis wir uns wiedersahen. Das Literaturhaus spielt insofern eine Rolle, da es nur wenige Meter von uns entfernt ist und Bücher meine große Leidenschaft sind. 

Helga König: Sie schreiben in Ihrem Gedicht "Machtgier": "Die Sehnsucht/nach Liebe/hört nie auf/jedoch der Glaube/an Gerechtigkeit." Wodurch hat bei Ihnen der Glaube an Gerechtigkeit aufgehört? 

Angélique Duvier:
Es gibt mehrere Gründe, warum ich den Glauben an Gerechtigkeit zu einem großen Teil verloren habe, sie beginnen bei mangelnder Mitmenschlichkeit und enden in der Kulturszene.

Helga König: Welches Ihrer Haikus im Buch mögen Sie am meisten und weshalb? 

Angélique Duvier: Eigentlich mag ich sie alle, vielleicht besonders »Gänseblümchen«. Wenn ich an ihnen vorbeikomme, pflücke ich mir oft einen Strauß. Ich besitze eine kleine, richtig alte Vase, wo sie genau hineinpassen, die stelle ich dann auf unseren Esszimmertisch und erfreue mich an diesen zierlichen filigranen Blüten.

Helga König: Und gleich darauf folgend: Welches Ihrer Senryus im Buch mögen Sie am meisten und weshalb?

Angélique Duvier: Auch hier: Sie gefallen mir alle, doch möchte ich eines hervorheben. Daher werde ich einfach mit diesem Senryu antworten: Musik Gefühlte Musik, dringt tief in Menschenherzen und bewegt etwas. 

Helga König: Entsprechen Haikus und Senryus durch ihre Kürze ihrer Meinung dem Zeitgeist und falls ja weshalb?

Angélique Duvier: Gedichte, ebenso wie Haikus und Senryus, zählen zu den Stiefkindern der Verlage, offenbar glaubt man, dass sie nicht gern gelesen werden und sich die Bücher schlecht verkaufen. Zum Glück ist das aber falsch, ich sehe es an den Resonanzen, die meine Publikationen hervorrufen, und zwar bei unterschiedlichen Altersgruppen. 

Helga König: In Ihrem Gedicht "Oberflächlichkeit" konstatieren Sie, dass sich eine neue Oberflächlichkeit breit mache. Wie sieht diese aus und was könnte man tun, um ihr ein Ende zu setzen?

Angelique Duvier:
Oberflächlichen Menschen mangelt es leider meistens an geistiger Tiefe, sie verbringen viel Zeit und Energie damit, sich um Äußerlichkeiten zu kümmern, wie und womit sie auf andere wirken. Mit Problemen möchten sie nicht konfrontiert werden, dann ziehen sie sich zurück. Dabei ist es so wichtig, zu reflektieren und sich mit tiefgreifenden Themen zu befassen. Vielleicht muss man sich manchmal einfach dazu aufraffen, abstrakt zu denken und dieses zu etablieren, damit man nicht weiter in der Oberflächlichkeit verharrt. 

Helga König: Ihr Senryu "Schönheit" besagt: "Attraktivität/ ist wichtig für Schauspieler –/ weiblicher Natur." Ist dies eine versteckte Kritik aufgrund möglicher Ungleichbehandlung von Schauspielerinnen im Hinblick auf deren männliche Kollegen? 

Angélique Duvier: Schauspielerinnen ab etwa Mitte vierzig werden ausgemustert, weil sie älter werden und an Attraktivität verlieren, in der "Fernseh- und Theaterrealität" finden Frauen mittleren Alters nicht statt. Es wird kein zeitgemäßes Altersbild dieser Frauen gezeigt. Die Rollen werden immer kleiner und unbedeutender, dann gibt es eventuell noch die bescheidene Rolle der Großmutter oder der verhärmten, kranken älteren Frau. Es existiert nur eine Handvoll immer derselben Schauspielerinnen von über Fünfzigjährigen, so sieht es leider im Fernsehen und an den Theatern aus. Bei den Männern trifft dies nicht zu, es ist egal, ob sie alt, dick, dünn sind, Haare oder keine Haare haben, für sie gibt es immer interessante Rollen. Aus diesem Grund wurde die Initiative "Let’s Change The Picture!" gegründet, die darauf aufmerksam macht, und der ich mich ebenfalls angeschlossen habe. 

Helga König: "Zeit" und "Vergänglichkeit" sind Begriffe, denen man als Lyrikerin ihrer Meinung nach wie begegnen sollte? 

Angélique Duvier: Zeit und Vergänglichkeit ist ein Thema, worüber es viel zu schreiben gibt. Es betrifft uns alle, wir Menschen sind ein Teil des natürlichen Kreislaufs, der sich in einem ständigen Wandel und Wechsel befindet. Wir können davor nicht davonlaufen, daher sollten wir diesen Wandel beobachten und auch auf die kleinen Dinge achten und dankbar sein für jeden neuen Tag, den wir erleben dürfen.

Liebe Angélique Duvier, ich danke Ihnen für das  aufschlussreiche und zum Nachdenken anregende Interview

Ihre Helga König

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