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Helga König im Gespräch mit Tanja Langer

Liebe Frau Langer, gestern habe ich Ihr Buch "Der Tag ist hell, ich schreibe dir" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen. 

Helga König: Ihre Romanfigur Helen schreibt viele Jahre hindurch Briefe an ihren Freund Julius, der sich über diese Briefe zwar sehr freut, ihr jedoch niemals zurückschreibt. Wie nennt man ein solch einseitiges Bemühen und wie geht eine Briefeschreiberin damit auf Dauer um?

 Tanja Langer- Foto Barbara Schnabel
Tanja Langer: Julius ruft bei jedem Brief an und antwortet darauf, nicht nur das, er ruft auch von sich aus an. Er geht auf alles ein, wovon Helen ihm berichtet, er erzählt ihr von sich, seinen Gedanken – ich kann darin keine Einseitigkeit sehen, nur verschiedene Mittel. Er bittet Helen, ihm zu schreiben, weil er Spaß an ihren Briefen hat – und weil er sieht, dass sie leidenschaftlich gern schreibt. Dass es ihre Art ist, in der Welt zu sein.


Helga König: Als Helen den Bankier Julius kennen lernt ist sie 19 Jahre alt und er hat bereits das fünfzigste Lebensjahr überschritten. War es der Bekanntheitsgrad von Julius, der Helen veranlasste, sich auf die Freundschaft mit diesem älteren Herrn einzulassen? Was erhoffte sie sich von ihm? 

Tanja Langer: Ganz ehrlich: wenn man einem wunderbaren Menschen begegnet und Zuneigung da ist: fragt man nach Alter oder Stellung? Helen ist verblüfft und hingerissen von einem Mann, der so lebendig und geradezu hitzig seine Anschauungen äußert, die auch nicht gerade dem entsprechen, was andere Banker, Industrielle oder etablierte Menschen in seinem Alter von sich geben. Sie kennt ja durch den Golf Club, in dem ihre Eltern und sie arbeiten, einige dieser Typen und findet sie langweilig. Julius aber ist politisch ein Querdenker, er bietet ihr ein Gespräch an, dessen Horizont sehr weit ist – für eine lebens- und bildungshungrige junge Frau wie Helen ein großes Geschenk. Julius ist ja alles andere als ein “älterer Herr”. Aber vor allem: sie mögen sich auf Anhieb.

Helga König:  Hat Julius Helen während ihres Studiums finanziert und falls ja sind daraus Verpflichtungen entstanden? 

Tanja Langer: Nein. 

Helga König: Julius erfährt aufgrund der unzähligen Briefe sehr viel über die intellektuelle Entwicklung Helens, umgekehrt erfährt sie von seinen Gedanken in erster Linie nur etwas während ihrer Begegnungen, sieht man mal von den Telefonaten ab. Hat Julius versucht, Helen in ihrer Entwicklung zu beeinflussen. War er eine Art Pygmalion? 

Tanja Langer: Julius ist ein großer Pädagoge, in der Tat, doch er merkt bald, dass Helen ganz anders ist als er – und da er selbst Vergnügen an ihren Geschichten hat, hört er auf damit, von ihr strukturierte Hausarbeiten zu wünschen. Aber was heißt “nur”? In Gesprächen und vor allem im Umgang mit ihm erfährt sie sehr viel ... Sicher viel mehr als in seinen Briefen. Sie sagen einander immer, was sie denken.

Helga König:  Julius war ein verheirateter Mann. Wie geht Helen mit dieser Tatsache um, speziell als die Beziehung eine Intensität erreicht, die über das Intellektuelle hinausreicht? 

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Tanja Langer: Sie ist sehr jung. Sie sieht ihre Beziehung so eigenständig, dass sie gar nicht erst mit dieser Frage ins Gehege kommt. Und er ja auch nicht. 

Helga König: Welche Bedeutung darf man den Besuchen Helens in der Alten Pinakothek und konkret den dortigen fiktiven Zwiesprachen mit Madame Pompadour beimessen? 

Tanja Langer: Es ist ein Bild, ein Spiel, eine Liebe: An der Universität begegnet Helen lauter Männern und deren Hierarchien. Sie lernt sie gerade erst kennen und hat erhebliche Probleme damit. Also sucht sie intuitiv nach einer anderen Orientierung – und geht zu Madame Pompadour, zumal sie die bildende Kunst liebt. Sie ist erst 22, sie weiß es noch nicht: Aber die Kunst gibt ihr im Leben die wesentliche Orientierung. Auf der Ebene der älteren Erzählerin ist es ein augenzwinkernder Umgang mit dem Motiv, das Helen begegnet, als ein missgünstiger Professor von ihrer Beziehung zu einem Mann mitbekommt, der in seinen Augen vor allem eines ist: ein mächtiger Mann. Auf der Ebene der Autorin ist es ein Spiel mit Frauenrollen - Mata Hari, Madame Pompadour - die sie lustvoll benutzt. 

Helga König:  Hat die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit von Julius nach dessen Tod Helens Bild, was diesen Mann anbelangt, verändert? 

Tanja Langer: Schwierig zu sagen. Helen entdeckt viele Facetten neu, die Julius`Umfeld betreffen, als sie seiner Ermordung nachgeht. Sie macht sich vielleicht überhaupt erst einmal klar, was die beiden verbunden hat, denn in der Zeit, in der Julius lebte, hat sie es ja recht selbstverständlich genommen. Ich möchte aber nicht zu viel vorwegnehmen, der Leser möchte ja auch noch etwas entdecken! 

Helga König: Welche Fragen würde Helen heute Julius in erster Linie stellen, wenn er plötzlich zum Leben erwacht, vor ihr stehen würde? 

Tanja Langer: Bist du glücklich? Was schreibst du gerade? Was hast du noch in der Jahn-Behörde herausgefunden? Wann sehen wir uns wieder? 

Helga König:  Glauben Sie, dass Helen durch dieses Buch ihre Beziehung zu Julius verraten hat?

Tanja Langer:  Ich verstehe diese Frage nicht. Oder anders gesagt: So denke ich nicht. 

Helga König:  Wie werten Sie die Beziehung von Helen und Julius als Schöpferin der beiden Romanfiguren? 

Tanja Langer: Ich werte nicht, ich stelle dar. (Klingt arroganter als es ist) Ich liebe meine Figuren und versuche sie so vielschichtig darzustellen wie es mir möglich ist. Im Fall von Julius und Helen hat mich die Einbettung von zwei Generationen in die deutsch-deutsche Geschichte auf einer ungewöhnlichen Ebene (der Banken-Politik-Ebene, kurz vor der Wende) fasziniert. Beide sind direkt und indirekt (Helen ist Jahrgang 1962) mit dem Zweiten Weltkrieg in Berührung gekommen und von dieser Erfahrung zutiefst geprägt. Helens Eltern waren Julius`Jahrgang, 1930, und gerade weil sie Freunde waren, konnte sie über ihn vieles in Erfahrung bringen, was in der Familie herauszufinden oft viel komplizierter ist. Darauf reagieren übrigens sehr viele LeserInnen, die mir Briefe schreiben. Das Gespräch, das den beiden durch ihre verschiedenen Welten hinweg gelingt, ist für mich eine Utopie. Eine poetische und politische Utopie!

Liebe  Tanja Langer, ich danke Ihnen herzlich für dieses aufschlussreiche Interview gleich zu Jahresbeginn. Ihre Helga König:-))

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