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Peter J. König im Gespräch mit Ulrich Tilgner

Lieber Herr Tilgner, vor geraumer Zeit habe ich Ihr Buch "Die Logik der Waffen" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen. 

Peter J. König:  Bevor wir auf Ihr Buch eingehen, würden Sie bitte etwas zu Ihrem journalistischen Werdegang erzählen. Warum haben Sie gerade den Orient als Arbeitsfeld gewählt? 

 Ulrich Tilgner@ Bildarchiv Tilgner

Ulrich Tilgner: Angefangen habe ich wie in den siebziger Jahren üblich beim Rundfunk, einer Nachrichtenagentur und als Mitarbeiter von Zeitungen. Da mich Iran schon während des Studiums interessiert hat, habe ich alles daran gesetzt, über die islamische Revolution 1978/79 zu berichten. Dieses „Hobby“ hat 1980 zu einem Wechsel von der dpa (Landesbüro Südwest) zum freien Mitarbeiter für Rundfunk, Zeitungen und Fernsehen mit dem Berichtsgebiet Iran geführt. Bis zu meiner Ausweisung aus Iran (1981) habe ich in Teheran den Orient kennengelernt. Mir wurde klar: Dort findet Weltpolitik statt. Das möchte ich beobachten – darüber möchte ich berichten.

Peter J. König:  Ist es erforderlich, die arabische Sprache zu beherrschen, um vor Ort den Kontakt mit der Bevölkerung zu ermöglichen oder ist ein Dolmetscher unumgänglich? 

Ulrich Tilgner: Sicherlich ist es phantastisch, wenn ein Journalist fließend Arabisch spricht. Doch selbst dann benötigt ein Journalist, der die Menschen wirklich verstehen und kennenlernen will, vor Ort in den unterschiedlichen Teilen der arabischen Welt Übersetzer – schon wegen der unterschiedlichen Dialekte - und was noch wichtiger ist, Führer durch die jeweilige Kultur. Wer glaubt, ohne Ortskundige arbeiten zu können, ist größenwahnsinnig. 

Peter J. König:  Wie muss sich der Leser Ihres Buches überhaupt ihre Arbeitsweise vorstellen, wenn Sie für eine Reportage z. B. in den Iran, nach Afghanistan oder aktuell nach Syrien reisen? 

Ulrich Tilgner: Ich arbeite immer mit unterschiedlichen Kolleginnen oder Kollegen. Sie müssen zumindest aus dem jeweiligen Land stammen und auch die Region, in der wir arbeiten, genau kennen. Denn nur wenn Menschen, mit denen wir Kontakt suchen, ihresgleichen erkennen, vertrauen sie einem Team, werden sie offen reden, um ihre Meinung oder auch Kritik zu äußern. Vom Schutz durch private Sicherheitsdienste halte ich nichts. Die Panzerwesten und Waffen der Begleiter bilden unüberwindbare Barrieren. Natürlich bleiben ausländische Korrespondenten immer Fremde – doch es gilt Barrieren einzureißen und nicht solche zu errichten. 

Peter J. König: Wie kommt es, dass die westliche Politik so an den Realitäten vorbei agiert und warum gibt es bei den politisch Verantwortlichen so wenig Sensibilität für die bestehenden Machtstrukturen, die nach den militärischen Aktionen doch nur wieder neue Despotie hinterlässt? 

Ulrich Tilgner: Politiker im Westen sind an ihrer Wiederwahl interessiert. Sie wollen deshalb keine Fehler erkennen, da sie die ja ihrem Selbstverständnis zufolge nicht begehen dürfen. Auch ein Grund, weshalb sie alles schön reden. In Europa folgt man der Politik der USA. Was in Afghanistan passiert oder durch westliche Politik zerstört wird, interessiert wenig oder gar nicht. Politische Entscheidungen werden im Gefolge der USA getroffen, selbst wenn man versucht, sie als eigene auszugeben. Dies bildet meiner Ansicht nach den Hauptgrund, warum Desaster wie im Irak, in Afghanistan oder in Syrien schön geredet werden.

Peter J. König:  Macht militärische Intervention überhaupt einen Sinn? 

Ulrich Tilgner: Ich kenne im Orient kein aktuelles militärisches Eingreifen, das sinnvoll und erfolgreich war.

Peter J. König:  Wie sehen Sie das Erstarken der Moslembruderschaften und der Salafisten in den arabischen Staaten z. B. wie jetzt in Ägypten und welche Chance haben die europäischen Staaten bei dieser Entwicklung? 

Ulrich Tilgner:  Die führende Position islamischer Parteien ist auch ein Ergebnis des Scheiterns des Westens. Der Kolonialismus hat zur Schwächung des Orients entscheidend beigetragen, sozialistische und nationalistische Parteien und Politiker – wie die Baathisten oder Nasser - sind mit Versuchen gescheitert, die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme in Staaten der Region zu überwinden. Auch deshalb setzen so viele Menschen auf den Islam als Lösung. Hinzu kommt, dass der Islam seit Jahrhunderten die wichtigste Religion des Orients ist. Dies zu leugnen wäre so wahnsinnig wie die Bedeutung des Christentums in Europa zu negieren. Das Abend- und das Morgenland, also Europa und der Orient müssen lernen, miteinander umzugehen. Dabei dürfen die Europäer niemals vergessen, welches Unheil sie in den vergangenen zweihundert Jahren über den Orient gebracht haben. 

Peter J. König:  Die USA scheint, auch bedingt durch den Förderboom in den eigenen Staaten, das Interesse an arabischen Öl und Gas zu verringern oder ganz zu verlieren, welche politischen Folgen wird das Ihrer Kenntnis nach auf die Region haben?

Ulrich Tilgner: Die Ziele der US-Regierung, von Energieimporten weitgehend unabhängig zu werden, dürften auf lange Sicht teilweise verwirklicht werden. Für die USA als größten Energieverbraucher der Welt bringt diese Entwicklung enorme Deviseneinsparungen. Auf die Entwicklung der Weltmarktpreise von Gas und Öl dürfte diese Veränderung eine stark dämpfende Wirkung ausüben. Die Preise werden noch stärker von der Nachfrageentwicklung abhängen. Damit verringert sich das US-Interesse an orientalischem Öl und Gas. Auch bisher haben die Vereinigten Staaten nur geringe Mengen aus der Region des Persischen Golfes importiert, sie waren jedoch an einer hohen Förderung in dieser Region interessiert, weil dies die Profite der dort tätigen US-Firmen steigerte und den Preis auf dem Weltmarkt dämpfte, was sich günstig auf die US-Zahlungsbilanz auswirkte. Die abnehmende Bedeutung der Rohstoffe der Region für die USA verstärkt sich, weil die US-Regierung erkannt hat, dass sie dort militärisch scheitert und weil den USA die Gelder fehlen, sich dort weiter militärisch stark zu engagieren.

Peter J. König:  Haben diese Staaten im Orient überhaupt eine Chance auf eine Demokratisierung, oder ist dies alles nur eine blauäugige Vorstellung von wunschdenkenden Amerikanern und Europäern?

Ulrich Tilgner:  Die in der Region lebenden Menschen wünschen sich demokratische Verhältnisse. Durch ihre Bündnisse mit Diktatoren haben die Regierungen westlicher Staaten die antidemokratischen Kräfte gestärkt und setzen diese Politik (arabische Golfstaaten) bis heute fort. Lippenbekenntnisse für Demokratie müssen durch praktische Unterstützung demokratischer Ansätze ersetzt werden. Wären die für Kriege aufgewandten Mittel zur Unterstützung der demokratischen Proteste und politischen Neuanfänge aufgewendet worden, sähe die politische Situation im Orient möglicherweise positiver aus. 

Peter J. König:  Wenn Salafisten in Ägypten von der zukünftigen Islamisierung von Europa sprechen, wie jüngst im Zuge des Verfassungsreferendums geschehen, ist dieses ernst zu nehmen? 

Ulrich Tilgner:  Nein – bei derartigen radikalen Sprüchen handelt es sich um Wahlkampfgetöse, das auch im Orient entfacht wird. 

Peter J. König:  Würden die Staaten des Orients ohne die Amerikaner eine bessere Zukunft haben, oder sind sie untereinander so zerstritten, dass sie trotz ihrer Ressourcen es nicht schaffen, weltpolitisch bedeutender zu werden? 

Ulrich Tilgner: Dies hängt von der politischen Entwicklung der Region ab. Solange das entstehende Machtvakuum von Staaten wie Saudi Arabien gefüllt wird, dürfte sich für die Menschen in der Region nichts Entscheidendes ändern.





Lieber Herr Tilgner,  herzlichen Dank für das aufschlussreiche Gespräch.
Peter J. König

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