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Helga König im Gespräch mit Roger Willemsen

Lieber Roger Willemsen, gestern habe ich Ihr Buch "Es war einmal oder nicht: Afghanische Kinder und ihre Welt" rezensiert. Dazu möchte ich Ihnen heute einige Fragen stellen. 

Helga König: Sie sind Schirmherr des Afghanischen Frauenvereins. Was hat Sie veranlasst, sich gerade mit den Nöten dieser Frauen zu befassen und welche Ziele hat dieser Verein?

 Roger Willemsen
Copyright: Anita Affentranger 
Roger Willemsen: Es käme mir seltsam entfremdet vor, das Einfühlungsvermögen nur den Personen in Büchern oder Filmen zu reservieren, nicht denen der Wirklichkeit. Also, die Menschen Afghanistans zu sehen und helfen zu wollen, das war dasselbe und kam ganz selbstverständlich. Wir bohren am Hindukusch vor allem Brunnen, bauen Schulen, kümmern uns um Gesundheitsvorsorge, haben ein Hebammenprojekt und betreiben eine Schneiderei, in der sich die Frauen selbst zu helfen lernen.

Helga König: Welchen Zweck verfolgen Sie damit, die vielen Kinderzeichnungen in Ihrem Buch, Ihren Lesern zugänglich zu machen? 

Roger Willemsen: Ich möchte, dass die Menschen hier das Land mal nicht unter der Bundeswehr-Perspektive sehen, sondern aus der Erfahrung der Zivilisten, um deren Wohl es ja angeblich immer geht. Außerdem erfülle ich einen Kinderwunsch: Sie möchten alle so gerne am Aufbau des Landes beteiligt werden. Das tun sie durch ihre Bilder, denn der Erlös des Buches geht ja komplett an den Afghanischen Frauenverein. 

Helga König: Wird oder hat es bereits eine Ausstellung der Bilder in Berlin gegeben und zwar im Rahmen einer Benefiz-Veranstaltung für afghanische Kinder?

Roger Willemsen: Ich mache diese Benefiz-Veranstaltungen ja dauernd, zuletzt mit Dieter Hildebrandt, Georg Schramm, Erwin Pelzig, Konstantin Wecker im Zirkus Krone in München. Nun mache ich Veranstaltungen mit Barbara Auer und einmal mit Juliane Köhler, da werden die Bilder gezeigt, aber auch hundert Fotos von den Kindergesichtern. Dazu erzähle ich, und die Aufsätze und Briefe der Kinder und Schneiderinnen werden dazwischen gelesen. Eine Ausstellung ist noch nicht geplant, wäre aber denkbar.

Helga König: Wie reagieren Menschen hier in Deutschland, wenn sie die Bilder sehen? 

Roger Willemsen: Sehr gerührt, und das ist bewegend. Gestern hat mir ein Interviewer gestanden, er sei in Tränen ausgebrochen bei der Betrachtung dieser Arbeiten.

Helga König: Welchen generellen Eindruck haben Sie, wenn Sie mit afghanischen Schülerinnen sprechen, wird diese heranwachsende Generation es schaffen, entscheidende kulturelle Veränderungen vorzunehmen?

 Roger Willemsen
Copyright: Anita Affentranger
Roger Willemsen:  Nicht alle werden zum Besten sein, aber ja, es ruht viel Hoffnung auf den Schultern der Jugendlichen, besonders der Frauen, die mit Riesenschritten in eine liberalere Zukunft stürmen. Dass sie dabei auch von unserem Schrott erfasst werden – Castingshows, Muckibuden für das Körperstyling, samt Konsum von Muskelaufbaupräparaten, Shopping Queens, Fernsehköche, all das gibt es in Afghanistan inzwischen auch.

Helga König: Worin sehen Sie die Hauptprobleme für Veränderungen in der afghanischen Kultur?

Roger Willemsen:  Einerseits im Verlust der traditionellen Kultur, die flächendeckend zerstört wurde – es fehlen Musikinstrumente und Noten, Kunstwerke, Bild- und Filmarchive, eine lokale Literatur entsteht erst langsam wieder – anderseits im Einfluss aus den USA, aus Pakistan. Afghanistan ist ziemlich wehrlos gegenüber jenen, die das Land kulturell kolonialisieren. 

Helga König: Mitleid führt selten zu wirklichen Veränderungen, Mitgefühl hingegen schon. Mein Eindruck ist, dass durch die Kinderzeichnungen und die Texte, sich beim Leser und Betrachter Mitgefühl entwickeln kann, das sich in humanistische Handlungen umsetzen lässt. Welche Handlungen sind in Ihrem Sinne wünschenswert?

Roger Willemsen:  Danke, Sie haben recht. Als Erstes wünsche ich
mir ein nicht nachlassendes Interesse an dem Land, dem der Westen, auch durch die Unterstützung der Taliban, als sie nützlich schienen, so viel Schaden zugefügt hat. Dann aber wünsche ich mir, dass sich die Hilfsbereitschaft auch praktisch niederschlägt, sei es in Spenden, sei es im Versuch des Austausches zwischen Schülern, Studenten, Frauengruppen – da ist so Vieles denkbar.

Helga König: Der Erlös aus dem Verkauf des Buchs wird vom Verlag und Autor an den Afghanischen Frauenverein e.V weitergegeben. Hat man bereits Vorstellungen davon, in welcher Weise man den Kindern dort helfen möchte?

 Roger Willmsen
Copyright: Anita Affentranger
Roger Willemsen:  Wir müssen eine langfristige Arbeit sicherstellen, Lehrerinnen gewinnen, Wächter bezahlen, Lehrmittel kaufen, zusätzliche Klassenräume bauen. Der Bedarf ist so riesig, aber glauben Sie mir, der Bildungshunger der Kinder ist es auch. 

Helga König: Sie nennen zum Ende des Buches zudem ein Spendenkonto: Afghanischer Frauenverein e.V., Commerzbank Koblenz BLZ 57080070, Konto 0680850500. Welche Summen  sind notwendig, um beispielsweise Schulen in einer Region zu bauen, Sie schreiben ja, dass 75% der Schulen im Krieg zerstört worden sind? 

Roger Willemsen:  Ein Brunnen kostet 800 Euro und kann bis zu 150 Menschen täglich mit reinem Wasser versorgen, eine Schule kostet etwa 250.000 Euro. Wir hören ja immer von der staatlichen Hilfe für die zivile Aufbauhilfe. Wir merken davon nicht viel. Der erste Satz, den Minister Niebel zu mir sagte, als ich ihn traf, war: „Ist ja ganz schön und gut, was Sie da in Afghanistan machen, Hauptsache, Sie wollen kein Geld.“ Anders als der Minister arbeitet der Afghanische Frauenverein aber schon seit 20 Jahren im Land. Von seiner Expertise könnte man viel lernen, wenn man wollte.

Helga König: Haben Sie schon einmal daran gedacht, an die Tür des vermögenden Inhabers der Firma United Internet AG in Montabaur anzuklopfen, schließlich befindet sich die Koblenzer Bank gerade vor seiner Haustür?

Roger Willemsen: Gute Idee, er soll sich schon mal auf Klopfgeräusche einstellen.

Helga König: Was ist mit Amazon, könnte Amazon im Falle des Buches nicht auch auf seinen Profit verzichten und sich ein gutes Beispiel am Autor und Verlag nehmen?

Roger Willemsen:  So schön es wäre, damit fängt Amazon bestimmt gar nicht erst an. Das Beispiel könnte ja Schule machen.

Lieber Roger Willemsen, ich danke Ihnen herzlich für das  aufschlussreiche Interview.
Ihre Helga König

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