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Helga König im Gespräch mit Thomas Schäfer über sein Buch "Was unseren Kindern wirklich hilft"

Lieber Thomas Schäfer, dieser Tage habe ich Ihr Buch "Was unseren Kindern wirklich hilft" rezensiert und möchte Ihnen dazu nun einige Fragen stellen.


Helga König:  Sie erwähnen in Ihrem Buch nicht grundlos den Bestseller des Kinderpsychiaters Michael Winterhoff "Warum unsere Kinder Tyrannen werden" und reflektieren in diesem Zusammenhang elterliche Konsequenz in Sachen Erziehung. Weshalb mangelt es vielen Eltern neuerdings an dieser Konsequenz? 

 Thomas Schäfer
Thomas Schäfer: Aus meiner Sicht hat das eindeutig mit der Überforderung der heutigen Elterngeneration in Beruf und Alltag zu tun. Die ständige online-Erreichbarkeit für den Arbeitergeber, schlimme Konkurrenzsituationen am Arbeitsplatz und eine Zunahme von Zeitverträgen verunsichern viele. Wenn Eltern ständig psychisch überfordert und ausgelaugt sind, wollen sie ihre Ruhe haben... Kinder werden mit smartphones und PC-Spielen ruhig gestellt. An Erziehung ist da nicht mehr zu denken. Das Problem ist demnach gesamtgesellschaftlich. Die Geschwindigkeitszunahme unseres Lebens lässt extrem vieles verloren gehen, nicht nur eine vernünftige Pädagogik. Die zunehmende Digitalisierung fördert zudem eine ungesunde Nivellierung von Normen, Werten und Regeln. 

 Helga König
Helga König: Welches Verhalten dürfen Kinder von ihren Eltern erwarten, um sich seelisch gesund zu entwickeln? 

Thomas Schäfer: Eltern sollen ein gutes Vorbild abgeben. Ruhig und ausgeglichen sollen sie das Kind durchs Leben führen. Starke Eltern haben ebenfalls den Mut, Fehler zu machen. In diesem Falle sagen sie dem Kind schnörkellos: "Du, mir tut es leid, dass...", statt sich tausend mal zu entschuldigen. Besonders wichtig für die Erziehung: Väter und Mütter versuchen viel zu oft, die Zuneigung des Kindes nicht zu verlieren und machen sich dann "klein" vor ihnen. So entstehen Millionen von "Prinzen" und "Prinzessinnen", denen jeder Wunsch sofort von den Lippen gelesen wird. Eltern werden so zu den berüchtigten "Helikopter-Eltern". Deren Kinder können sich später im Leben nirgends in der Gesellschaft einordnen: sie sind gewöhnt, dass sich jeder Mensch ihnen anpasst. Für die psychische Reifung ist es jedoch wichtig, dass Kinder von Zeit zu Zeit auch ein standfestes "Nein" erfahren; sie "hungern" sogar danach, stabile, starke Eltern zu erleben - das verleiht den Kindern ein Sicherheitsgefühl.

Helga König: Was geschieht, wenn Kindern kaum Grenzen gesetzt werden?

Thomas Schäfer: Stets hungern Kinder danach, den ihnen zur Verfügung stehenden "Raum" auszutesten. Kinder ohne Grenzen müssen sie permanent verletzten, um zu prüfen, wo der Raum endet... Die Konsequenz: Nicht nur zu Hause sondern auch in Kindergarten und Schule verletzen Kinder dauernd Regeln. Sie gehen davon aus, dass die Pädagogen ähnlich unterwürfig sind im Verhalten wie die Eltern und Regeln keinen Bestand haben. Leider werden ihre Erwartungen zuweilen sogar erfüllt! Seit neuestem werden Lehrer immer häufiger - offiziell! - nicht mehr als "Lehrer" bezeichnet sondern als "Lernbegleiter". Spätestens im Berufsleben gibt es dann ein noch größeres Problem. 

Helga König: Wie gehen Sie in Ihrer Therapie konkret vor, um familiensystemische Zusammenhänge zu ergründen? 

 Thomas Schäfer
Thomas Schäfer: Das Beste ist, wenn beide Eltern für ihr Kind zusammen in einer Gruppe eine Aufstellung mit Stellvertretern machen. Das Problem des Kindes, z.B. eine Krankheit, wird dargestellt durch ein fremdes Gruppenmitglied, das zusammen mit weiteren Stellvertretern der Familienmitglieder aufgestellt wird. Am feedback des Symptomstellvertreters wird schnell deutlich, was die Ursache hier ist. 

Helga König: Extreme Wut aber beispielsweise auch Sprachstörungen können einen familiensystemischen Hintergrund haben. Können Sie unseren Lesern hierfür ganz kurz Beispiele nennen? 

Thomas Schäfer: Aus vielen Gründen können Kinder wütend werden. Systemisch gesehen, hat die Kinderwut oft mit der Dynamik zwischen den Eltern und ihrem "Vorleben" zu tun. Z.B. können sich Kinder, die mit einem früheren Partner der Eltern verbunden sind, dem gleichgeschlechtlichen Elternteil oft nicht richtig öffnen. Hat beispielsweise ein Mann seine frühere erste Freundin geschwängert und dann sitzengelassen, wird oft eines seiner Kinder (aus der späteren Beziehung) genau diese Wut der fremden Frau übernehmen und sie den Eltern gegenüber ausdrücken. Die Wut wird aufgelöst, indem der Vater sich seiner früheren Beziehung stellt und Verantwortung übernimmt. Das Kind braucht dann nicht mehr die Wut der früheren Freundin des Vaters unbewusst auszudrücken. 

Stottern: Nicht immer muss es systemische Gründe geben. Kinder reagieren oft sensibel auf Alltagssituationen und Familienstress. Der Vater eines stotternden Sohnes erzählte mir, dass er beruflich oft unter extremem Stress stand. Er hatte den Eindruck, er könne sein berufliches Leben nicht anders organisieren, als er es tat. Doch er wurde den Verdacht nicht los, dass das schlimmer werdende Stottern seines Sohnes eine Botschaft für ihn als Vater sei. In der Tat war nicht nur die Ehefrau verärgert, dass sie ihren Mann selbst am Wochenende kaum noch zu Gesicht bekam, sondern auch die Kinder fühlten sich "vaterlos". Der Mann machte einen Versuch, um seine Vermutung zu überprüfen: Er organisierte seinen Berufsalltag um, delegierte mehr Aufgaben als früher an Untergebene und nahm billigend in Kauf, dass hier und da ein finanziell lukrativer Auftrag verloren ging. In der Folge genossen es alle in der Familie, dass der Vater wieder mehr Zeit hatte. In den ersten drei Wochen blieb das Stottern des Kindes noch so, wie es war. Doch danach bildete es sich kontinuierlich zurück, bis es gänzlich dauerhaft verschwand! Das sollte wirklich zu denken geben! 

Helga König: Bemerkenswert finde ich, dass Sie schreiben, dass Kinder, die in der Schule gemobbt werden, oft in ihrer elterlichen Beziehung als "Moderator" agieren, weil die Eltern Stress miteinander haben. Welches falsche Rollenbild wird dem Kind hier zum Verhängnis? 

Thomas Schäfer: Von einem oder von beiden Elternteilen wird in dem Kind unbewusst ein Erwachsener gesehen: die eigene Mutter oder der eigene Vater. Die Eltern projizieren ihre eigenen ungelösten Elternprobleme auf den Partner und das Kind! Diese Projektion ist für ein Kind schwer zu tragen. Nur indem die Eltern Hilfe außen (z.B. Psychotherapie) suchen, kann das Kind entlastet werden und aus seiner Moderatorenrolle herausgehen. 

 Helga König
Helga König: Scheidungskinder gibt es nicht wenige. Gibt es familiensystemische Hintergründe, die bei diesen Kindern besonders auffällig sind? 

Thomas Schäfer: Wenn Eheleute ihre drängenden, ungelösten Elternprobleme auf ihr Kind und ihren Partner projizieren und keinerlei Hilfe von außen in Anspruch nehmen, dann kommt es eben oft zur Scheidung. Je stärker die Eltern selber auf problematische Weise mit ihrer Herkunftsfamilie verbunden sind, desto größer ist das Scheidungsrisiko. 

Helga König: Haben diffuse Ängste von Kindern oftmals mehr mit ihren Eltern oder Großeltern als mit ihnen selbst zu tun? 

Thomas Schäfer: Das kann man so generell nicht sagen. Manche Ängste hängen mit aktuellen Problemen in der gegenwärtigen Familie zusammen, andere hingegen mit Schwerem, das bei den Großeltern oder anderen Verwandten gewesen ist. 

Helga König: Sie schreiben, dass Allergien nicht selten etwas mit einer "unterbrochenen Hinbewegung" zu Vater oder Mutter zu tun hat. Was heißt das konkret? 

 Thomas Schäfer
Thomas Schäfer: Bei Allergie ist es meist schwer, zu einem der Eltern "hin zu gehen". Das Kind empfindet, als gäbe es ein Verbot zu diesem Elternteil zu gehen. Ein Beispiel: Wenn, wie oft bei Allergien und auch Neurodermitis, eine Frau verbunden ist mit der ersten Frau ihres Vaters, dann stellt sie für ihre Mutter eine Rivalin dar. Es ist ihr nicht möglich, die eigene Mutter als Mutter zu nehmen. Wird in einer Aufstellung diese Hinbewegung zur Mutter erlaubt, kann oft auch der Körper positiv darauf reagieren. 

Helga König: Hoffen Sie, dass Eltern durch die Beispiele im Buch ihre eigenen Familienbeziehungen aufzudröseln und zu analysieren beginnen? 

Thomas Schäfer: Ja genau! Zum Besten, was man für Kinder tun kann, gehört das Aufarbeiten der eigenen Geschichte! Dann müssen es die Kinder einem nicht permanent spiegeln, was man noch zu bearbeiten hat. 

Lieber Thomas Schäfer, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Interview.

Ihre Helga König 


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