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Helga König im Gespräch mit dem Internetrechtsprofessor und Verfassungsrichter Prof. Dr. Dirk Heckmann

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Heckmann, heute möchte ich Sie den Lesern von "Buch, Kultur und Lifestyle" vorstellen und insofern einige Fragen an Sie richten. 

Helga König: Sie sind Verfassungsrichter und seit 1996 Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht, sowie seit 2006 stv. Leiter des Instituts für IT-Sicherheit und Sicherheitsrecht an der Universität Passau. Worin liegt Ihr Schwerpunkt in Ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit als Internetrechtsprofessor?

Prof. Dr. Dirk Heckmann
Prof. Dr. Dirk Heckmann: Mir geht es besonders um eine Annäherung überkommener Rechtsvorstellungen an die moderne Welt mit ihren neuen Medien und den daraus resultierenden neuen Verhaltensweisen (Kommunikationskultur, Bring your own Device etc.). Juristen verstehen vielfach die Technologie, ihre Funktionen und Wirkungen nicht; Techniker wiederum haben wenig Gespür für Wertmaßstäbe und Interessenausgleich. Ich möchte zum besseren Verständnis Brücken schlagen und etwa in der Netzpolitik wegkommen von unsäglichen Polarisierungen. 

Helga König: Sie haben 2009 das Center for IT- Compliance and Trust im Deutschen Telecom Institute for Connected Citos (TICC) an der Zeppelin Universität Friedrichshafen gegründet. Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrem diesbezüglichen Engagement? 

Prof. Dr. Dirk Heckmann: Die Zeppelin Universität ist eine junge, aber bereits sehr erfolgreiche private Universität. Mir gefällt das dortige akademische Klima und die spannende thematische Verbindung dieser “Hochschule zwischen Politik, Wirtschaft und Kultur“ sehr gut. Ich habe sehr gerne die Chance ergriffen, im Institut mit dem renommierten Verwaltungsinformatiker Jörn von Lucke Fragen des E-Government, Open Data, web 2.0 oder Cloud Computing zu erforschen. Nebenbei bemerkt: Die Lage direkt am Bodensee mit Privatstrand ist auch sehr reizvoll. 

Helga König: Im Oktober 2011 erschien die 3.Auflage des von Ihnen herausgegeben, knapp 1200 Seiten starken juris Praxiskommentars Internetrecht. Sollte dieser Kommentar zur Grundlage des Internetrechts für alle Studenten dienen und wenn ja, weshalb?

Prof. Dr. Dirk Heckmann: Der Kommentar ist in erster Linie für die Rechtspraxis gedacht und wird als Standardwerk mittlerweile auch von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof zitiert. Weil er in der Online-Version permanente Updates bekommt, ist das eine Lebensaufgabe für meine Autoren und mich  Für Studierende ist er wohl nicht so erschwinglich. Da haben wir eigene Skripten für Vorlesungen und Seminare. 
Helga König: Sie betreiben einen Twitter-Account. Wen möchten Sie dort mit Ihren Botschaften erreichen und welche Botschaften wollen Sie vorrangig übermitteln? 

Prof. Dr. Dirk Heckmann: Meine fast 1.500 Follower sind sehr heterogen: Viele IT-Rechtsanwälte, die besonders an aktuellen Urteilen oder Kongressreferaten interessiert sind. Dazu netzpolitisch Interessierte, ein paar Studenten, denen ich mal eine Vorlesungsänderung anzeige, und auch "Privatpersonen". Manche folgen mir auch wegen meiner Tweets zu guter Musik als DJ Trackman. Am meisten freue ich mich, dass trotz der Vielfalt kaum einer abspringt. 

Helga König: Prof. Dr Niedostadek haben Sie in einer Twitterbotschaft mitgeteilt, dass sich Facebook für Vorlesungsbegleitungen eignet. Können Sie den Gedanken etwas näher ausführen? 

Prof. Dr. Dirk Heckmann: In der Tat sind 140 Zeichen für Studienzwecke ungeeignet. Hingegen erreiche ich über meine Facebook-Seite „Verwaltungsrecht Uni Passau“ bereits rund 700 „Fans“, mit denen ich mich zu Vorlesungsthemen, aber auch darüber hinaus austausche (Gewinnspiel zur EM 2012, Cartoons etc.); sozusagen das virtuelle Pendant zu Hörsaal und Cafeteria. 

Helga König: Sie sollen angeblich gesagt haben, dass wir im Internet eine Zeitlang mit Rechtsverletzungen leben müssen. An welche Rechtsverletzungen denken Sie da speziell und wann sollten diese beseitigt sein?

Prof. Dr. Dirk Heckmann: Das habe ich in der Tat nur so ähnlich gesagt. Ich wollte vor dem Irrglauben warnen, man könne alleine durch IT-Einsatz alles regulieren und jegliche Konflikte lösen. Maßnahmen wie Netzsperren oder Vorratenspeicherung schaffen aber weder rechtskonforme Zustände noch sind sie verhältnismäßig. Zudem fordern Daten-, Persönlichkeits- und Geheimnisschutz die Möglichkeit zu anonymer Internetnutzung. Dann aber wird es täglich auch (Urheber-, Persönlichkeits- oder Vermögens-) Rechtsverletzungen geben, die wir nicht verhindern können, ohne dass wir einen Polizeistaat aufbauen. Das ist doch im realen Leben nicht anders. Mich ärgern z.B. Drängler auf der Autobahn auch. Dennoch möchte ich weder durchgehende Polizeikontrollen noch strikte Geschwindigkeitsbegrenzungen. Freiheit bedeutet auch das Risiko der Rechtsverletzung, die man nicht toleriert, aber auch nicht mit aller Gewalt unterbindet.

Helga König: Was spricht dagegen, die Anonymität im Netz aufzugeben? 

Prof. Dr. Dirk Heckmann: Die Möglichkeit zu anonymer Internetnutzung ist Grundrechtsausübungsvoraussetzung. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in seiner Spickmich-Entscheidung für anoynme Lehrerbewertung ausdrücklich betont. Das Gleiche gilt etwa für Suizidforen oder Aidsberatung. Man kann aber auch nicht differenzieren und sagen: Meinungsforen bleiben anonym, für andere Seiten gilt Klarnamenzwang. Was viele übersehen: Ein bißchen anonym gibt es so wenig wie ein bißchen schwanger  Das ist ein Dilemma, das aber nicht gelöst, sondern nur in seinen Folgen gemildert werden kann. Ich sehe eher die Chance, dass wir manches Übel an der Wurzel packen müssen, beim Cybermobbing schon in der Schule mehr Aufklärung, bessere Erziehung und vor allem Solidarität mit den Opfern brauchen.

Helga König: Sie haben mit Tobias Schrödel gemeinsam 2011 das Show-Format „Der Richter und sein Hacker“ gegründet. Können Sie den Lesern hierzu kurz etwas mitteilen? 

Prof. Dr. Dirk Heckmann: Tobias Schrödel ist Deutschlands bekanntester Comedy-Hacker. Gemeinsam vermitteln wir IT-Sicherheit mit Augenzwinkern. Seine praktischen, verblüffenden Beispiele zur Unsicherheit der IT, kombiniert mit meinen launigen Ausflügen in das Dickicht der Rechtsordnung sorgen für Lacher, die besser im Gedächtnis haften als eine trockene Lehrstunde. Wir treten zum Beispiel im Rahmenprogramm von Kongressen oder bei Veranstaltungen größerer Unternehmen auf.

Helga König: Sind Plattformbetreiber im Internet verpflichtet Beleidigungen und Verleumdungen von Usern gegenüber anderen Usern zu löschen und wie rasch muss solches geschehen? 

Prof. Dr. Dirk Heckmann: Diese Verpflichtung besteht in der Tat, sobald der Betreiber davon Kenntnis hat (z.B. über sog, Abuse-Buttons). Gelöscht werden muss unverzüglich. Das ist bei eindeutigen Verstößen auch problemlos. Schwierig wird es, wenn die Grenze zwischen erlaubter Kritik und strafbarer Beleidigung nicht so einfach zu ziehen ist. 

Helga König: Was kann man gegen Verfolgung und Mobbing seitens so genannter Sockenpuppen im Internet tun? 

Prof. Dr. Dirk Heckmann: Mit Sockenpuppen meinen Sie sog. Fake-Accounts, die zum Teil auch nur deshalb angelegt werden, um andere vermeintlich risikolos zu diffamieren. Wichtig ist es zunächst, davon Kenntnis zu erlangen, sich also regelmäßig zu „googlen“ oder in Facebook nach „Doppelgängern“ zu suchen. Je „frischer“ der Verstoß ist, um so eher kann man Datenspuren (etwa von der Registrierung) finden, die zum Täter führen. Das ist nicht immer einfach. Daneben kann und soll man seinen „echten“ Account besonders gut pflegen und vernetzen, damit andere nicht so leicht auf den Fake hereinfallen. In diesem Sinne nutzt es also nichts, einfach selbst „offline“ zu bleiben, weil die Identität mangels „Originals“ dann leichter vorgetäuscht werden kann.

Lieber Prof. Dr. Heckmann, für das aufschlussreiche Interview danke ich Ihnen herzlich.
Helga König

Prof. Dr. Dirk Heckmann, MdBayVerfGH
Institut für IT-Sicherheit und Sicherheitsrecht
Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht
Forschungsstelle für IT-Recht und Netzpolitik For..Net
Universität Passau
94030 Passau

Foto: aus dem Bestand von Prof. Dr. Dirk Heckmann




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